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FREITAG 17. JUNI

Noch einmal Frühstück auf der Terrasse. Unterhaltung mit Frau Schäfmann, ähnlich wie die morgendlichen Begrüßungen an den Tagen zuvor, doch diesmal fügte ich ein paar kurze Sätze hinzu. Ich beschrieb die Schönheit der Natur, die man an diesem sonnigen Morgen von der Terrasse aus sehen konnte. Ich prophezeite auch, dass es ein wunderschöner Tag werden würde. Während ich sprach, gestikulierte ich mit den Händen. Sie verstand kein Englisch, keine einzige Silbe von dem, was ich sagte. Als Antwort deutete sie auf den Horizont und sagte: "Schöne Tage". Dagegen ließ sich nichts einwenden. Dann half ich Frau Schäfmann, die Essensreste und das schmutzige Geschirr in die Küche zu tragen. Mit dem Wort "danke" zeigte sie sich für meine Hilfe erkenntlich und ich antwortete "danke schön", vielen Dank für das Frühstück. 

Bald darauf kam Elisabeth Weinhandl. Wir verstauten das Gepäck im Kofferraum des Autos und dann war auch schon die Zeit gekommen, um Abschied zu nehmen.

 


Es ist Zeit, unseren Besuch in St. Anna zu beenden und nach Wien zurückzukehren. Doch zuerst müssen wir noch zu Herrn Lippe um zu sehen, ob er Fotos aus vergangenen Zeiten gefunden hat. Es ist ihm nicht gelungen, aber Bürgermeister Weinhandl wird später eine Aufnahme auftreiben, die Apus Erinnerungen eindeutig bestätigt. Herr Lippe hat einen Mann namens Leo mitgebracht, der uns kennen lernen möchte. Leo ist ebenfalls bereits in den Achtzigern. Vor dem Krieg, so erklärt Herr Lippe, arbeitete Leo für seinen Großvater. Wir erfahren, dass es Leo war, der den Zaun errichtet hat! Hier vor uns steht der Errichter jenes Maschendrahtzauns, der in den Erinnerungen meines Vaters eine so große Rolle spielt, dass wir dadurch den genauen Ort seiner Unterbringung vor 60 Jahren ermitteln konnten. Leo war im Jahr 1945, als sich Apu in St. Anna aufhielt, nicht hier. Er war eingezogen worden und kämpfte im Krieg, kämpfte für die Deutschen. Heute jedoch wollte er meinem Vater die Hand schütteln und ihm Alles Gute wünschen. Diese Reise steckt wirklich voller Überraschungen.

 

 


(Leo kämpfte in Afrika für die Deutschen. Doch zu seinem Glück wurde er schon zu Beginn der Kämpfe von den Briten gefangen genommen. Die Kriegszeit verbrachte er als Kriegsgefangener in einem Lager in Ägypten.)

 

 


Während wir gerade unser Gepäck im Auto von Frau Weinhandl verstauen, um zum Bahnhof zu fahren, taucht plötzlich Frau Kikelj auf. In einer kurzen Unterrichtspause hat sie beschlossen, schnell vorbeizuschauen, um sich noch einmal von uns zu verabschieden. Mit Tränen in den Augen bedankt sie sich für unseren Besuch und verspricht, das Mathematikprogramm meines Vaters auszuprobieren. Ich habe das Gefühl, dass dies ihre Art ist danke zu sagen dafür, dass wir geholfen haben, ihre Mutter von einer großen Last zu befreien.  Am Bahnhof sagt mir Frau Weinhandl, sie habe in weniger als einer Woche das Gefühl bekommen, ich sei wie ein Bruder für sie und Apu wie ein Großvater. Apu meint daraufhin scherzend: "Warum nicht wie ein Vater!" In der Tat ist mein Vater mit seinen 80 Jahren alles andere als alt. Er verkraftet die Strapazen dieser Reise besser als ich.




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