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Epilog - Von Elisabeth Weinhandl

Da ich nicht in St. Anna am Aigen aufgewachsen bin, wusste ich bis zu dem Zeitpunkt als ich Sandor Vandor kennenlernte, eigentlich so gut wie gar nichts über die Geschehnisse während des Zweiten Weltkrieges hier in unserer Gemeinde. Zuerst war ich nur neugierig, alles war so neu und spannend für mich. Damals konnte ich noch nicht ermessen, was auf mich zukommen würde. Heute kann ich sagen, dass es eine große Bereicherung für mein Leben ist, an Sandors Vergangenheit und Gegenwart teilzuhaben. Ich glaube, nicht viele Menschen haben auf solch außergewöhnliche Weise Geschichte vermittelt bekommen wie ich, auf Originalschauplätzen und durch Zeitzeugen, denen Sandor, Jacob und ich auf unseren Entdeckungsfahrten begegnet sind. So bedeutsame Ereignisse von Menschen erzählt zu bekommen, welche unmittelbar damit konfrontiert waren, ließ mich oft erschauern. Damit diese eindringlichen Gespräche nicht in Vergessenheit geraten, möchte ich Sie nun einladen,  folgende Aufzeichnungen zu lesen.

 

Schwester Lina (Graz)

            Als junges Mädchen war sie in einen Orden eingetreten, aber die Nonnen wurden von den Nazis nach Hause geschickt. Schwester Lina fand als Haushaltshilfe bei einer Familie in St. Anna Arbeit. An diesem Haus gingen Tag für Tag jüdische Zwangsarbeiter vorbei und sie nahm stets Äpfel von zu Hause mit, um sie den Hungernden zukommen zu lassen, indem sie die Äpfel aus dem Fenster warf. Eines Tages fand ein SS-Offizier einige Äpfel und er ging in das Haus, um Nachschau zu halten. Aber alles was er fand war ein singendes junges Mädchen, das gerade Schuhe polierte. Von ihren Schwestern wurde sie immer wieder gewarnt, den Zwangsarbeitern zu helfen, da sie damit nicht nur ihr eigenes Leben, sondern auch das ihrer Familie riskieren würde. Aber das hielt sie nicht davon ab, weiterhin zu helfen. Und eines Tages nahm sie sogar zwei jüdische Zwangsarbeiter mit in das Haus und gab ihnen Bohnensalat zu essen.

            Heute ist Schwester Lina 87 Jahre alt und noch immer jeden Tag vor Schulbeginn als Betreuerin von Kindergartenkindern und Schülern aktiv. Sie ist der gute Geist des Hauses, in dem sie jahrzehntelang als Betreuerin gearbeitet hat und nach wie vor zu helfen bereit, wann immer es ihr möglich ist.

 

Maria Haarer aus Waltra (Gemeinde St. Anna am Aigen)

            Acht oder neun Juden kamen zu ihrem Elternhaus und bettelten um Essen. Ihr Vater befahl ihr, von einem großen Laib Brot Scheiben abzuschneiden. Gerade als Maria Haarer dabei war, dies zu tun, kam ein Polizist daher. Sie war zu Tode erschrocken, da sie auf frischer Tat ertappt worden war. Aber sie hatte Glück. Der Polizist sagte beim Weggehen nur: „Ich habe nichts gesehen”. – Und sie fuhr damit fort, den Laib Brot aufzuschneiden und half damit den Juden, ihren Hunger ein wenig zu stillen. Ihr ganzes Leben lang war sie diesem Polizisten dafür dankbar, dass er sie nicht angezeigt hatte und damit vielleicht ihr eigenes und das Leben ihrer Familie gerettet hat. Als Besucher merkt man sofort, dass auch heute noch Hilfsbereitschaft und Gastfreundschaft im Hause Haarer zugegen sind.

 

Ferdinand Legenstein aus Sichauf (Gemeinde St. Anna am Aigen)

            Er war zu der Zeit elf Jahre alt und er kann sich daran erinnern, dass seine Mutter jedes Mal, wenn sie nach St. Anna ging, einen Laib Brot unter ihrer Kleidung versteckte, um den Juden zu helfen.

 

Frieda Neubauer aus Risola (Gemeinde St. Anna am Aigen)

            Sie wurde dazu eingeteilt, Schützengräben auszuheben und musste sich beim Arbeitsdienst selbst verpflegen. Auf dem Weg dorthin kam sie bei den Panzergräben vorbei und warf immer wieder Essenpakete hinein. Eines Tages  musste sie in einer der Baracken in der sogenannten „Hölle“ das Arbeitsbuch, in welches alle Arbeitsstunden eingetragen wurden, holen. An diesem Tag sah Frau Neubauer hinter der Baracke mehrere Leichen auf einen Haufen zusammengeworfen, einige Personen lebten jedoch noch.

            Sie kann sich auch noch an das Massengrab in der Nähe von Deutsch-Haseldorf erinnern und hat selbst gesehen, dass sich die Erde darüber bewegte.

 

Imre Weisz

            Einem glücklichen Zufall ist es zu verdanken, dass sich im Mai dieses Jahres ein weiterer noch lebender Zeitzeuge gemeldet hat, der während des Zweiten Weltkrieges als ungarisch-jüdischer Zwangsarbeiter in St. Anna am Aigen war.

            Sein Name ist Imre Weisz, geboren 1928 in Mezőtúr, Ungarn.

            Zusammen mit seiner ganzen Familie wurde er im Sommer 1944 von Mezőtúr in das Ghetto von Szolnok gebracht und von dort nach Österreich in die Umgebung von Wien. Mitte Jänner wurde seine Gruppe nach St. Anna am Aigen gebracht. Er war im Schulgebäude untergebracht, im oberen Stockwerk in einem Raum ohne Schultafel an der Wand (Damals gab es keine an der Wand fixierten Tafeln, sondern nur solche, die auf einem transportablen Gestell montiert waren.). Dort waren zweistöckige Feldbetten eingebaut. Er erinnert sich noch lebhaft daran, die Stiegen hinauf- und hinuntergegangen zu sein, um in diesen Raum zu gelangen.

            Jeden Morgen verließen sie die Schule und gingen neben der Kirche vorbei die Stiegen hinunter. Sie hoben jedoch keine Panzergräben aus, sondern Schützengräben. Seine Gruppe, welche aus zehn Männern bestand, musste pro Tag 35 m³ Erde ausheben. Sie bekamen auch ein Mittagessen, somit hatten sie drei Mahlzeiten am Tag. Ihr Essen war aber auch nahrhafter, zumindest das Mittag- und Abendessen. Sie konnten leicht ihr Tagessoll erfüllen, aber manchmal arbeiteten sie langsamer, um bei einer späten Ausgabe des  Mittagessens noch dazusein. Neben dem Ausheben der Schützengräben waren sie auch noch an anderen Befestigungsarbeiten beteiligt.

            Imre Weisz erinnert sich weiters daran, dass die Küche, in der ihre Mahlzeiten zubereitet wurden, in einem Gebäude ungefähr hundert Meter vom Schulgebäude entfernt auf der anderen Straßenseite war. Aber selbst durch eine bessere Verpflegung als in Sandors Gruppe war Imre Weisz immer hungrig und benötigte dringend mehr Essen. Auch er ging in die Nachbardörfer und bettelte um Essen. Er bekam Äpfel und sehr oft entschuldigten sich die Spender, dass sie selbst nicht genug zu Essen hätten.

            Imre Weisz erinnert sich auch an die Namen von einigen seiner Kameraden, auch an den des SA-Aufsehers, der Wagner hieß. Er bezeugte dies auch bei Dr. Eleonore Lappin, einer Historikerin, welche sich schwerpunktmäßig mit den Judenverfolgungen in Österreich beschäftigt.

            Ungefähr Ende Februar oder Anfang März – er erinnert sich daran, dass noch Schnee lag – wurden sie vom Schulgebäude in eine unfertige Holzbaracke mit einem Zeltdach gebracht. Während sie dort untergebracht waren, entkamen einige Leute, die alle derselben Familie angehörten. Zur kollektiven Vergeltung wurden die zehn ältesten Mitglieder seiner Gruppe erschossen. (Dieses Ereignis gleicht jenem von Schobers Beschreibung in Vorwort 3.)

An irgendeinem Tag Ende März wurde Imre Weisz evakuiert, auch er musste zum Todesmarsch nach Mauthausen aufbrechen und wurde dort schließlich befreit.

Steirisches Bethlehem

            St. Anna am Aigen ist auch bekannt als „Steirisches Bethlehem“. Aus unserer Pfarre stammen 36 Priester, darunter Kardinal Frühwirth und Fürstbischof Schuster sowie zahlreiche Ordensleute. Diese tief verwurzelte Religiosität mag auch mit ein Grund dafür sein, dass so viele Menschen in St. Anna dazu bereit waren, während des Zweiten Weltkrieges selbstlos Hilfe zu leisten.

Familie Wurzinger aus Aigen

            Auf Anfrage von Bürgermeister Josef Weinhandl stimmte Familie Wurzinger zu, das Mahnmal für den Frieden auf ihrem Grund errichten zu lassen.

            Der Familie Wurzinger ist es wichtig, dass diese Ereignisse nicht in Vergessenheit geraten sollen. Außerdem eignet sich dieser Platz besonders gut, da es ein viel frequentierter Ort ist. Ein weiterer Beweggrund für die Familie war, dass sie die Jugend unterstützen wollten.

            Herr Wurzinger erzählte mir, dass er bei landwirtschaftlichen Arbeiten in der Nähe des Mahnmales immer wieder bemerkt, dass das Mahnmal häufig besucht wird.

            Abschließend möchte ich Ihnen noch eine der Glastafeln, welche innerhalb des Mahnmals für den Frieden angebracht sind, präsentieren.

8. Mahnmal für den Frieden

8. Mahnmal für den Frieden

Im Rahmen der Aktion „72 Stunden ohne Kompromiss“ der Katholischen Jugend Österreich entstand 2008 auf Initiative von Sandor Vandor, der Marktgemeinde St. Anna am Aigen unter Bgm. Josef Weinhandl sowie Weihbischof Franz Lackner das Mahnmal für den Frieden, um auch hinkünftig an die Ereignisse in St. Anna am Aigen am Ende des Zweiten Weltkrieges hinzuweisen.

 

Das Mahnmal steht auf authentischem Boden. In der so genannten Höll stand auch die Baracke, in der acht Juden verbrannten.

Das Mahnmal ist nur einzeln zu betreten um die Verlorenheit und Einsamkeit der Gefangenen nachzuempfinden. Die vier Säulen symbolisieren das Volumen des Panzergrabens, das die Gefangenen täglich ausheben mußten. Restziegel der Baracke wurden in die Säulen eingearbeitet.

Steht man innerhalb der Säulen, so kann man in vier Sprachen die Menschenrechte lesen, deren Einhaltung bis heute weltweit nicht gelungen ist.

Der Weg symbolisiert den täglichen Weg der Gefangenen. Setzt man sich auf den Gedenkstein neben dem Baum, so blickt man durch die Säulen zur Laterne. Die Laterne soll mit ihrem Licht das Gedenken an die Toten wachhalten, mit dem Wort Friede auf dem Glas aber auch „Hoffnungslicht“ auf dem Weg in die Zukunft sein.

 

Das Mahnmal wurde von Jugendlichen der Pfarre St. Anna am Aigen errichtet:

Thomas Maitz, Gerhard Schuster, Wolfgang Maitz, Wolfgang Hirtl, Kevin Pöltl, Philipp Triebl, Manfred Lamprecht, Christoph Breznik, Hannes Hopfer, Dominik Schmerböck, Thomas Hackl, Mario Gangl, Lisa Breznik, Kathrin Maitz, Claudia Maitz, Verena Penitz, Melanie Neubauer, Franziska Harrer, Michele Legenstein, Selina Nistl, Stefanie Weinhandl, Julia Großberger und den Gemeindearbeitern Helmut Maitz, Josef Sorger und Karl Truhetz.

 

Küntzlerin: Roswitha




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